Dienstag, 29. Oktober 2013

Die Nutzlosigkeit von Typenlehren in Seminar und Training

Die Nutzlosigkeit von Typenlehren in Seminar und Training

Die Sehnsucht nach der Schubladisierung von Menschen durch Menschen ist alt. Eines der ersten Konzepte, Menschen in Schubladen zu stecken, um sie besser diagnostizieren zu können, findet sich in der Astrologie. Zwillinge sollen zwei Gesichter haben und sehr redegewandt sein. Waagen sollen die Harmonie lieben und Widder wollen also mit dem Kopf durch die Wand. In der zweiten Lebenshälfte soll dann der Aszendent auf uns wesentlich stärker einwirken, als das eigentliche Sternzeichen. Die Wirksamkeit dieses Konzeptes der astrologischen Typologisierung von Menschen wurde von der Psychologie längst widerlegt. Eine junge Studie ergab, dass von der Sternzeichendeutung festgelegte Eigenschaften von Menschen den Verlauf ihres Lebens keineswegs signifikant beeinflusst haben. So haben sich die meisten Menschen immer wieder von ihren ihnen oktruierten sternzeichnerischen Eigenschaften gelöst und Alternativen zur Problemlösung gesucht anstatt ihrem Sternzeichen und denen der anderen zu vertrauen.
Menschen sind dynamische Wesen und konnten und können sich an neue Herausforderungen anpassen. Dies wäre jedoch nicht möglich, wären wir z. B. durch die Sternzeichen determiniert. Wir würden aufgrund unserer durch das jeweilige Sternzeichen vorherbestimmten Eigenschaften berechenbar reagieren. Ein frommer Wunsch. Und unser Glück zugleich. Die psychosozialen Berufe wie Sozialarbeit, Soziologie, Psychologie oder Psychotherapie haben in einzelnen Konzepten ebenfalls versucht, Schubladisierungen von Menschen als Arbeitsinstrument einzusetzen. Ausgehend von der Temperamentenlehre, beschäftigt sich vor allem die differentielle und Persönlichkeitspsychologie mit Typologien. Sie hat erkannt, dass Typologisierung von Menschen zwar bedingt möglich ist, aber gleichermaßen bedingt valid, da Menschen nun einmal zu einem großen Teil unberechenbar (im Sinne von nicht genau vorhersagbaren Handlungen) sind. Die von Unternehmensberatern, Trainingsfirmen und einzelnen Trainern entwickelten Typologisierungskonzepte wie z. B der Delphin fallen allesamt unter die primitiven Alltagstheorien (er ist so, weil er schüchtern ist, etc.). Es gibt bei diesen Konzepten weder Evaluationsstudien noch sonstige Validitätsbeweise, (außer sogenannte eigene Erfahrungen in eigenen Seminaren der Anbieter) die den Einsatz solcher Konzepte in einem Seminar oder Training begründen würden. Eher scheinen sie dem Vermarkten von Seminaren zu dienen. In der Gesprächsführung ist der Einsatz eines Typologisierungskonzepts meines Erachtens auch nur sehr bedingt sinnvoll.
Das Konzept der Sicherheitserlangung in Gesprächen durch den parallelen Einsatz möglichst vieler bewusst analytisch diagnostischer Erkenntnisse, behindert uns beispielsweise in unseren eigenen Möglichkeiten. Viel (negative) Antizipation verhindert Veränderung und Weiterentwicklung, weil wir uns und unsere Gesprächspartner sozusagen auf einem „Image“ festnageln. Werden diagnostisch analytische Erfahrungen im Gespräch auch noch „therapeutisch“ ausgesprochen (vor allem körpersprachlich), so ist ein negativer Gesprächsverlauf die logische Folge.
Ein Beispiel:
Person A diagnostiziert in Person B Schüchternheit gepaart mit leichter Arroganz. Person B ist Mitarbeiter und Experte auf seinem Gebiet, Person A sein Vorgesetzter. Das Gesprächsziel von Person A ist, Person B zu mehr Offenheit zu motivieren.
A: Wie kommen sie denn so im Team zurecht?
B: Was meinen sie?
A: Na, fühlen sie sich wohl in ihrem Team, mit den Kollegen, meine ich?
B: Ja, ja, alles ok., wieso?
A: Ich möchte einfach, dass es allen gut geht.
B: Aha, ja, mir geht’s gut.

Das Problem ist nicht die Diagnose an sich, sondern die Folge einer verlockenden therapeutischen Haltung, die Person A sich schon vor dem Gespräch – quasi in der Vorbereitung- zugelegt hat. Also wird sich Person B nicht aufgrund der Diagnose von A zurückziehen, sondern weil Person a sich nun mit ihm und nur mit ihm therapeutisch beschäftigen möchte, von sich selbst aber nichts für B nützliches hergeben will. Diese therapeutische Haltung ist aber eine Haltung, die einem Chef aber eigentlich nicht zusteht, Person B zieht sich berechtigterweise zurück.
Gedankliche Diagnoseverfahren mit Hilfe von Typologien laden am Ende einer Erkenntnis geradezu ein, therapeutisch, belehrend, anweisend oder aber auch nur moralisierend zu wirken. Dieses therapeutische Wirken ist z. B. in einem Therapie- oder Beratungsprozess durchaus gewünscht, wird es von ausgebildeten Fachleuten eingesetzt; nicht aber in einem Gespräch zwischen Chef und Mitarbeiter, Kunde und Mitarbeiter oder Mitarbeiter und Mitarbeiter. Diagnosen, und im Besonderen Diagnosen aufgrund von Typologiekonzepten sind unvermeidlich - sie können praktisch gar nicht verhindert werden, es sei denn wir könnten unser Denken abschalten. Wer aber mit solchen Konzepten arbeiten möchte, sollte also viel Ausbildung erhalten, um die Auswirkung dieser angewandten Diagnostik gründlich zu erfahren. Es verhält sich ja ähnlich mit der angewandten Körpersprache. Ebenfall ein beliebtes Lernthema in 2- Tages Trainings. Bei der angewandten Analyse der Körpersprache während eines Gesprächs tritt dasselbe Problem auf, wie beim Einsatz von Typologien. Die Analyse zwingt zur sofortigen Aktion. Im Gespräch akut erworbenes Wissen (Analyse) über den Gesprächspartner, wie z. B. Zurückgezogenheit aufgrund verschränkter Arme und Beine sowie eines zum Boden gesenkten Blickes bindet den Analysten sofort an seine Pflicht zu handeln. Therapeutisch zu handeln, zu helfen, zu belehren, etc.
Diese Erkenntnis ist gemacht.
Warum versuchen Trainer also, Teilnehmern in Seminaren und Trainings Schubladisierung zu lehren, wenn sie doch im selben Seminar den Boden für Veränderungsbereitschaft bereiten wollen? Ein Konzept der Schubladisierung zwingt Teilnehmer ja geradezu, misstrauisch zu bleiben und keinesfalls Veränderung einzuleiten. Wenn Trainer die (unmögliche) Berechenbarkeit von Menschen in Aussicht stellen, werden die Seminarteilnehmer auf keinen Fall über ihre eigene Veränderung nachdenken wollen. Viel interessanter, einfacher und weniger belastend ist doch die scheinbare Möglichkeit, sich in der Analyse der Kunden, Gesprächspartner, Verhandlungsteilnehmer, Meetingpartner, etc. zu ergehen, um dann einen geeigneten Schlachtplan zu entwickeln. Wenn sich Teilnehmer aber nur mit der Analyse und darauffolgender Katalogisierung etwa von Kundentypen beschäftigen sollen, um diese dann mittels bereitliegendem „Behandlungsplan“ in ihrem eigenen Sinne zu kurieren, dann wird ein Grundsatz der Kommunikation einfach übersehen: Kommunikation ist (glücklicherweise) wechselseitig wirkend (Watzlawick, Bateson,…). Seminarkonzepte, die Typologieanalyse zum Inhalt haben, möchten das sogenannte „triviale Kommunikationsmodell“ wieder auferstehen lassen. Ein Modell, welches irrtümlicherweise davon ausgeht, dass eine Botschaft unwidersprochen beim Empfänger landet. Bereits in den 1960er Jahren wurde dieses Modell durch Watzlawicks „wechselseitigem Kommunikationsmodell“ widerlegt und abgelöst. Typologiekonzepte funktionieren aus weiteren Gründen nicht: Bei Manipulationsversuchen wird unser im Gehirn sitzender „hidden observer“ aktiv, ein „komisches Gefühl“, das uns davor warnen will, unsere Ziele zugunsten derer eines anderen aufzugeben. Nur extrem sozial inkompetente Menschen fallen lange auf solche Manipulationsversuche herein, vorausgesetzt es besteht psychische Gesundheit. Dieser „hidden observer“ ist auch der Grund dafür, dass Menschen, die hypnotisiert werden, niemals Aufträge des Hypnotiseurs ausführen würden, der nicht ihrer eigenen Moralvorstellung entspricht.
Eine Reaktion auf einen Manipulationsversuch kann sich unter Umständen auch erst Wochen später sichtbar machen und äußert sich z. B. in mangelnder Motivation, Zurückgezogenheit, etc. Darauf folgt eine zwangsläufige Verschlechterung der Gesprächsbasis, da ein Manipulationsversuch zweifelsohne einen massiven Übergriff bedeutet, den kein Mensch unsanktioniert verstreichen lassen kann, denn er muss sich ja vor einem weitern Versuch schützen. Eine solche Sanktion kann sich beispielsweise gesteigertes Misstrauen bis hin zu Feindseligkeit darstellen.
Was haben wir dann von der Erkenntnis, das unser Teamkollege ein „Delphin“ ist, unser kritischer Kunde ein „Wolf“, unser Chef ein „Typ B“, mit dem am besten Typ A kann, wenn dieser noch dazu ein „grüner Typ F“ ist, weil der mit „Typ D rot“ gar nicht zurechtkommen wird, da muss dann „Typ C blau“ her, usw.? Wir ernten eine Reihe Selbsterfüllender Prophezeiungen. Der Manipulationsversuch endet mit der Erkenntnis, dass unser Gesprächspartner „ genau so ist, wie wir das eh schon lange vermutet haben“. Und diese Erkenntnis hat wiederum zur Folge, dass unser Gesprächspartner ebenfalls zur Einsicht gelangt, nichts verändern zu können, weil er ja eben einen Manipulationsversuch abwehren musste und spätestens ab jetzt so richtig argwöhnisch geworden ist.
Hinter diesen Konzepten steckt zweifelsfrei der Versuch, den alten Wunsch der Menschheit zu erfüllen, sich selbst schattenlos durchleuchten zu können. Nur leider – außer, dass der Wunsch in spielerischer Form im Seminar erfüllt wird, endet dessen Erfüllung gleich auch ebendort wieder.
Eine nützliche, praktische Alternative zu diesen Scheinkonzepten ist gefunden, wenn auch weniger spektakulär und vermarktbar, jedoch absolut umsetzbar, dauerhaft und erfolgbringend. Sie lautet: Arbeit an der eigenen Haltung. Alle ausgesendeten verbalen wie nonverbalen Signale werden die entsprechende Reaktion bei unseren Gesprächspartnern hervorrufen. Sind die Signale aufrichtig, ernst gemeint und konstruktiv, wird das Ergebnis stimmen. Richtig angewandte Techniken, die eine konstruktive, sozial kompetente Haltung verlangen, wie Ich- Botschaften oder die Metakommunikation erzielen beste Ergebnisse im Gesprächsverlauf, auch ohne die Tierwelt zu bemühen.

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