Sonntag, 25. Oktober 2009

Meine Schuld, meine große Schuld

Wie im österreichischen Kurier vom 21. Oktober 2009 zu lesen war, erschien vor kurzem das neue Buch „Das ganz normale Böse" des Psychiaters Reinhard Haller. In einem Interview dazu postuliert er an einer Stelle, dass Menschen schon „böse“ auf die Welt kommen. Dies impliziert, dass ein vom Konzept Schuld und Sühne getragenes Gesellschaftssystem das logisch richtige wäre. Die Schuld für Verbrechensbegehung liegt demnach definitiv beim Einzelnen. Die Verantwortung dafür auch. Daher muss es naheliegend sein, schon frühzeitig das „Böse“ im Menschen zu identifizieren und dementsprechende Gegenmaßnahmen zu treffen. Dies würde dann mit „Erziehung“ geschehen können. Aus dieser Sicht ergibt sich jedoch ein Problem: Menschen können jederzeit für ihr Sein (so wie sie sind) und daraus resultierende Handlungen (das was sie dann deswegen tun) alleinverantwortlich gemacht werden. Jede Gesellschaft hat zwar Erziehungsstrategien, für deren Versagen würde jedoch niemals der zu Erziehende, oder dessen Methode, geschweige denn das einflussnehmende Umfeld zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Es ist nicht notwendig, wenn doch „erwiesenermaßen“ die Schuld für „böses Tun“ im Individuum selbst zu suchen ist. Haller: „Ich selbst glaube, wir kommen als Böse zur Welt und werden kultiviert“. Dieses Zitat wird die Auflage des Buches und die Karriere des Autors im heiligen Land (Haller ist Tiroler) sicherlich nicht behindern.
Sie ist jedoch aus zweierlei Sicht problematisch. Erstens, weil sie durch nichts bewiesen ist. Der Frage nach dem „freien Willen“, also nach der Möglichkeit, sich (auch trotz "Kultivierungsversuchen") für oder gegen das „Gute“ (oder für das „Böse“) zu entscheiden wird vor allem in letzter Zeit von Neurowissenschaftern, Philosophen, Sozialpsychologen und Soziologen heftig nachgegangen. Zweitens, weil sie hervorragend zu einem Zeitgeist passt, in dem der Neoliberalismus propagiert, dass jeder seines Glückes (oder Pechs) Schmied ist. Wer mit Handicaps aufwächst ist demnach auch selber daran schuld, wird als faul und unwillig diagnostiziert und in Maßnahmenpakete (z.B. Erziehungscamps, Hartz 4) gesteckt. Trainingsprogramme aller Art dienen zur alleinigen Implementierung von Eigenverantwortung, damit sich Betroffene wie seinerzeit Baron Münchhausen selbst am Schopf aus dem Sumpf ziehen mögen.
Auf Basis dieser Feststellung ist die Folge: Eine Gesellschaft, die sich schon während der Geburt eines Menschen ihrer Verantwortung für diesen entledigt und als Antwort für die, die sich für das Böse „entschieden“ haben zweierlei zur Verfügung stellt: Die Selbstbestrafung in Form von Buße für das was man ist, oder die Bestrafung durch die Gesellschaft, wenn es zu keiner „Einsicht“ des "bösen Menschen" kommt. Willkommen im Mittelalter! Im Humanismus spricht man von guten und bösen "Anteilen", die Menschen in sich tragen. Die Sozialisation trägt in einem hohen Maß dazu bei, wie sich diese Anteile entwickeln. Daher gilt es, das "Gute" und das " Böse" im Menschen zu erkennen, und die Verantwortung zu übernehmen, das "Gute" mit Liebe zu fördern. Diese Verantwortung darf niemals abgegeben werden. Niemals darf ein Mensch als "hoffnungslos böse " diagnostiziert werden, da dadurch die Gefahr besteht, ausschließlich auf Punitismus (Bestrafung) als "Kultivierungsstrategie" auszuweichen.

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elisabethottner - 25. Okt, 12:49

Wie definiert Haller das "Böse"?
In Richtung Aggression und Gewalt oder eher Egoismus und fehlende Moral?
Da bestehen m.E. Unterschiede; Teile des "Bösen" liegen bestimmt in unserer Natur.
Ist das Buch provokant und pointiert (dann lese ich es ;-) oder dogmatisch und effekthascherisch?

Christian Zajer - 25. Okt, 14:20

Was ist Böse?

Er definiert es unter all Deinen genannten Begriffen. Das hilft aber nicht weiter...Interessant ist: Können wir uns für oder gegen "das Böse" entscheiden? Neuste Forschungen zeigen: Nein. Demnach gibt es den freien Willen nicht. Die Bibel aber behauptet das Gegenteil. Für die Bibel gibt es immer eindeutig Schuldige und Unschuldige. Bestenfalls gibt es Menschen, die von Dämonen besessen sind. Die sind aber lt. Bibel auch selbst schuld. Der Schuldbegriff ist ebenso in Frage zu stellen, wie das Konzept von "Gut und Böse". Forschungsergebnisse sind hier zu finden:
http://wissen.spiegel.de/wissen/dokument/dokument.html?id=56831267&top=SPIEGEL
elisabethottner - 25. Okt, 18:01

Bewusst

Da beisst sich die Katze in den Schwanz.
Wenn Böse auch "fehlende Moral" bedeutet, dann ist der Betroffene unfähig dafür oder dagegen zu entscheiden, da sein "Überich" (strapazierter Begriff aber erklärt gut was ich meine) den Unterschied nicht kennt und nicht ermahnend eingreift.
Beispiel Schuld und Sühne...erst am Ende kommt soetwas wie Reue auf, man fühlt die Erlösung die mit der Erkenntnis kommt, das Überich funktioniert wieder, der Schuldige wird wieder "normal empfindend", "menschlich".

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stoik - 26. Apr, 08:00
Was ist Böse?
Er definiert es unter all Deinen genannten Begriffen....
Zajer - 25. Okt, 14:20

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